1938: Porsche in Zuffenhausen

Um die provisorischen Zustände in der Garage der Porsche Villa zu beenden und die Bereiche Versuch und Konstruktion zusammen zu führen, ließ Ferdinand Porsche 1938 im Stadtteil Zuffenhausen ein neues Werk errichten. Das an der Spitalwaldstraße 2 gelegene Grundstück hatte Ferry Porsche bereits im Mai 1937 erworben und somit zugleich den Ort des heutigen Porsche-Stammwerks bestimmt. Im Juni 1938 entstand in Zuffenhausen die Nullserie des späteren VW-Käfers, für dessen Entwicklung Ferry Porsche immer mehr Verantwortung übernahm. “Am liebsten bin ich den VW auf einem nackten Fahrgestell, mit festgeschraubtem Sitz und ohne Karosserie gefahren – man sah, wie die Räder sich drehten und man spürte den Fahrtwind. Aus dieser Zeit stammt meine Vorliebe für klar definierte Ecken und Kotflügel – deshalb hatte unser Typ 60 auch vier richtige Kotflügel.”

Die Entwicklung des Volkswagens bedeutete nicht, dass Vater und Sohn Porsche ihre Lieb- lingsprojekte, die Konstruktion und Entwicklung von Renn- und Sportwagen, aufgegeben hatten. Ende der dreißiger Jahre entstand erstmals die Idee, eine eigene Fahrzeug-Produktion aufzubauen. Ferry Porsche dachte schon 1938 über einen kleinen Sportwagen auf Volkswagen- Basis nach. Versuchsweise rüstete er sein VW39-Cabriolet mit einem Kompressor-Motor aus. Doch die politische Führung verbot es bald darauf, Versuchsmotoren vom Volkswagenwerk zu erwerben, da diese für Rüstungszwecke benötigt wurden.

Daraufhin entwickelten Vater und Sohn Porsche einen eigenen 1,5-Liter-Sportwagen nach dem Grundkonzept des Auto Union-Rennwagens. Das Typ 114 genannte Fahrzeug sollte einen Mittelmotor mit zwei oben liegenden Nockenwellen und halbkugelförmigen Brennräumen erhalten. Das Getriebe wurde hinter der Hinterachse positioniert, vorn sollten drei Personen nebeneinander sitzen, der Fahrer mit Lenkrad in der Mitte oder links. “Dieses Projekt habe ich mit mehr Engagement als mein Vater und unsere leitenden Mitarbeiter verfolgt. Ich war nämlich überzeugt, dass uns ein großer Nachkriegsmarkt erwartete”, so Ferry Porsche später.

Parallel zu diesem Projekt entstand im Auftrag des Volkswagenwerks ein Wettbewerbsfahr- zeug auf Basis des Volkswagen Typ 60. Die Rennwagenkonstruktion sollte als Werbemaß- nahme für den “KdF-Wagen” bei einem geplanten Langstreckenrennen von Berlin nach Rom starten. Unter der internen Bezeichnung Typ 64 beziehungsweise Typ 60K10 entwickelten und bauten die Porsche-Ingenieure im Frühjahr 1939 drei Rennsport-Coupés für die im September des Jahres geplante “Non-Stop Geschwindigkeitsprüfung”. Da ein großer Teil des über 1.500 Kilometer dauernden Rennens auf den neuen deutschen Autobahnen stattfinden sollte, wurde der Aerodynamik des Fahrzeugs besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Mit einer windschnittigen Stromlinienkarosserie aus Aluminium, verkleideten Radkästen sowie einem modifizierten VW-Vierzylinder-Boxermotor mit zunächst 33 PS erreichte der “Berlin- Rom-Wagen” eine Spitzengeschwindigkeit von bis zu 145 Stundenkilometern. Als der Kriegs- beginn die Austragung des Rennens verhinderte, benutze das Konstruktionsbüro Porsche die fertig gestellten Typ 64 als schnelle Reisesportwagen, mit denen auf Fahrten von Stuttgart nach Berlin Durchschnittsgeschwindigkeiten von 130 km/h erzielt wurden. Der formschöne Typ 64 gilt heute als der Urahn aller seit 1948 entstandenen Porsche-Sportwagen.

Mit jedem dieser Projekte trat Ferry Porsche ein wenig mehr aus dem Schatten seines Vaters Ferdinand. Obwohl er die größte Hochachtung vor den Fähigkeiten seines Vaters hatte, waren “wir Porsches auf technischem Gebiet keineswegs immer derselben Meinung”, konstatierte er in seinen Erinnerungen. “Wenn ich eine Meinung, die im Gegensatz zu seiner stand, in Gegenwart anderer äußerte, wurde er böse. Er fürchtete, glaube ich, sein Gesicht zu verlieren. Ergaben sich jedoch solche Widersprüche in unseren Ansichten, wenn wir beide allein waren, etwa auf einer längeren Autofahrt, dann war er viel zugänglicher und hörte sich geduldig meine Meinung an. Vater war eine sehr autoritäre Persönlichkeit.”



Ferry Porsche (Mitte), sein Vater Ferdinand Porsche (rechts) und Erwin Komenda (links) 1948 vor dem 356 Nr. 1 in Gmünd

1944: Porsche in Gmünd

Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beschäftigten sich die Porsche-Ingenieure vor- wiegend mit der Entwicklung militärischer Fahrzeuge. Neben dem Typ 81 “VW-Kastenwagen” entwickelte das seit Ende 1937 als Porsche KG firmierende Unternehmen den Typ 62 “KdF- Gelände-Fahrzeug”, den als “VW-Kübelwagen” bekannt gewordenen Typ 82 sowie den mit Allradantrieb ausgestatteten Typ 87 und den Typ 166 “VW-Schwimmwagen”. Vom Heeres- waffenamt erhielt das Porsche-Konstruktionsbüro zudem Ende 1939 den Entwicklungsauf- trag für einen mittelschweren Kampfpanzer, dessen Konstruktion jedoch vorzeitig eingestellt wurde, da schwerere Panzertypen benötigt wurden.
Ab 1943 wurde das Leben der Porsche-Mitarbeiter immer stärker durch die Luftangriffe auf Stuttgart geprägt.

Auf Drängen des Rüstungskommandos der Wehrmacht musste die Porsche KG schließlich im Herbst 1944 das Konstruktionsbüro von Stuttgart nach Gmünd in Kärnten auslagern. Auf dem Gelände der “W. Meineke Holzgroßindustrie Berlin-Gmünd” wurden Behelfswerkstätten aufgebaut, während das Materiallager auf dem Areal einer Flieger- schule im nahe gelegenen Zell am See untergebracht wurde. In eine Vielzahl von Arbeits- stätten und Unterkünften aufgesplittert, erhielt das neue Porsche-Werk von den Mitarbeitern den spöttischen Beinamen “Vereinigte Hüttenwerke”.

Nach Kriegsende wurden die Zuffenhausener Werksanlagen der “Dr. Ing. h.c. F. Porsche KG” zunächst vom französischen Militär genutzt. Im August 1945 übernahm eine amerikanische Einheit das zur Reparaturwerkstätte für Lastwagen umfunktionierte Werk. Das Porsche-Werk in Gmünd erhielt unterdessen eine provisorische Bewilligung zur Wiederaufnahme der Arbeit. Den rund 140 Porsche-Mitarbeitern wurde es gestattet, “Entwürfe von Motor-Traktoren, Gas- erzeugern und anderen zivilen Einrichtungen” durchzuführen sowie “Motorfahrzeuge und landwirtschaftliche Maschinen” zu reparieren.
In dieser schwierigen Situation folgte Ferdinand Porsche Mitte November 1945 der Einladung einer französischen Kommission nach Baden- Baden, um eine Fortsetzung des Volkswagen-Projekts in Frankreich zu besprechen. Bevor es jedoch einen Monat darauf bei einem weiteren Treffen zu einem Vertragsabschluss kam, wurde Ferdinand Porsche zusammen mit seinem Sohn Ferry und Schwiegersohn Anton Piëch vom französischen Geheimdienst in Baden-Baden verhaftet. Während Ferry Porsche im März 1946 wieder aus dem Gefängnis frei kam, hielt man den Senior trotz einer schweren Er- krankung weiter fest und brachte ihn nach Paris und Dijon.

“Nach dem Krieg wurde es für mich ernst, denn nun kam es alleine auf meine Initiative an”, erinnerte sich Ferry Porsche. Er nahm neue Projekte in Angriff, die auf die veränderten Ver- hältnisse zugeschnitten waren: Man benutzte die Werkzeugmaschinen in Gmünd dazu, Zube- hörteile für Traktoren, Handkarren oder Seilwinden zu bauen. Das Ziel war es aber, wieder Autos zu konstruieren.

Auf Vermittlung seiner Geschäftsfreunde Karl Abarth und Rudolf Hruska unterzeichnete Ferry Porsche am 15. Dezember 1946 einen Vertrag mit dem Turiner Indu- striellen Piero Dusio über umfangreiche Entwicklungsaufträge für dessen Firma Cisitalia. Neben einem kleinen Traktor und einer Wasserturbine begann die Gmünder Porsche KG mit der Auftragskonstruktion eines Typ 360 Grand-Prix-Rennwagens sowie des zweisitzigen Typ 370 Mittelmotor-Sportwagens.

“Keine Schraube hätte ich anders gemacht”

Unter Hochdruck arbeiten die Konstrukteure der Gmünder Porsche KG am Grand-Prix-Rennwagen Typ 360. Das erstmals komplett unter der Regie von Ferry Porsche entwickelte Fahr- zeug war seiner Zeit weit voraus: Als Antrieb sahen die Porsche-Ingenieure einen 1,5-Liter- Zwölfzylindermotor mit Kompressoraufladung vor, die Kraftübertragung erfolgte über einen zuschaltbaren Vierrad-Antrieb.

Obwohl der Auftrag aufgrund von Kapitalmangel des italieni- schen Auftraggebers nicht über ein Versuchsstadium hinaus geführt werden konnte, war das Projekt von entscheidender Bedeutung. Durch das Honorar konnte Ferry Porsche eine Kaution für seinen inhaftierten Vater in Höhe von einer Million französischen Franc aufbringen, der daraufhin am 1. August 1947 entlassen wurde. Die in Frankreich wegen angeblicher Kriegsvergehen eingeleitete Untersuchung gegen Professor Porsche gelangte nicht zur formellen Anklage-Erhebung und wurde wenig später endgültig eingestellt.

Als Ferdinand Porsche wenig später in Gmünd die Zeichnungen des Typ 360 betrachtete, gab er der Arbeit seines Sohnes sein bestmögliches Urteil: “Keine Schraube hätte ich anders gemacht.”

weiter (1948- 1955)